Was ist Arbeit?

Was ist Arbeit?

Was für eine Frage: “Was ist Arbeit?”. Anstrengend natürlich… und notwendig, damit ich Geld zum Leben habe… manchmal auch erfüllend, aber natürlich nicht immer und auch längst nicht jede Arbeit… Hmmm. Es scheint also doch nicht so einfach. Also dürfte es sich lohnen einen genaueren Blick auf die Frage zu werfen “Was ist Arbeit?”. Genauso wie die Inuit etliche Begriffe für Schnee haben, bestehen in anderen Sprachen differenziertere Begriffe für das, was wir unter dem Wort “Arbeit” zusammenfassen.

Für die feine Unterscheidung von labour und work haben wir im Deutschen keine Entsprechung.

Mir war auch vorher schon bewusst, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen der Arbeit gibt, der wir rein zum Geld verdienen nachgehen und der Arbeit, die uns eine Berufung ist. Erst die Lektüre von Richard David Prechts neuestem Buch “Freiheit für Alle” hat mir aber im Verständnis der Zusammenhänge, der gesellschafts-historischen Einordnung und vor allem der Begriffsfindung entscheidend weitergeholfen. Das Buch bietet im Übrigen weit mehr als nur das, weshalb ich dir hier eine ausdrückliche Leseempfehlung ans Herz lege.

Nun aber mitten rein ins Thema. “Labour” steht im Englischen für das, was ich hier “Erwerbsarbeit” nennen möchte. Dem steht “work” gegenüber und ich möchte es hier “Erfüllungsarbeit” nennen. So weit, so einfach. Aber, jetzt kommt es.

Was ist Arbeit? Erwerbsarbeit kann auch erfüllend sein.

Das ist seltener und weniger intensiv der Fall, aber es ist nicht auszuschließen. Verwirrt? Kein Wunder. Es fehlt an einer klaren Definition oder zumindest an Beispielen. Zur Erwerbsarbeit zähle ich all diejenigen Formen von Arbeit, bei denen das Einkommen, der Erwerb prioritär sind, also das bestimmende Argument, um dieser Arbeit nachzugehen. Es findet wenig bis gar keine Befriedigung von Bedürfnissen durch die Arbeit statt. Bedürfnisse. Achja, da sollte ich nicht so fix drüber weg gehen. Ich kürze den akademischen Teil mal ab. Ich orientiere mich gern an den “six needs” wie Tony Robbins sie beschrieben hat. Mehr darüber findest du in diesem Blogartikel.

Manchmal deckt Erwerbsarbeit Bedürfnisse eher indirekt. Das ist immer dann der Fall, wenn das verdiente Geld und der durch diese Arbeit erlangte Status Bedürfnisse befriedigen. Regelmäßig ist es aber im Fall von Erwerbsarbeit so, dass das verdiente Geld in der Freizeit für die Befriedigung von Bedürfnissen eingesetzt wird. Hier einen differenzierten Blick auf die Situation zu gewinnen ist manchmal schwieriger, als man zunächst annehmen würde.

Erfüllungsarbeit kann auch einen Erwerb beinhalten.

Die Erfüllungsarbeit trägt überwiegend oder sogar ganz erheblich zur Bedürfnisbefriedigung bei. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn wir auf die Hauptbereiche schauen, in denen Erfüllungsarbeit stattfindet. Dies ist nämlich im Ehrenamt und z.B. im Rahmen von Hausarbeit und Kindererziehung der Fall. Hier ist regelmäßig der Tauschwert für die geleistete Arbeit die Befriedigung von Bedürfnissen. Insbesondere der Wunsch einen Beitrag zu leisten oder der Wunsch nach Zugehörigkeit werden hier besonders bedient. Gleichzeitig können aber auch die anderen Bedürfnisse mehr oder weniger stark mit angesprochen sein.

Es wäre zu einfach, wenn alles so einfach wäre.

Schwierig wird es dadurch, dass Erfüllungsarbeit nicht grundsätzlich unbezahlt ist und bezahlte Arbeit nicht grundsätzlich ohne Bedürfnisbefriedigung erfolgt. Allzu weit möchte ich in diese Definitionsfragen hier auch gar nicht einsteigen – auch wenn das richtig Spaß machen kann. Mir geht es viel mehr darum zunächst zu erkennen, dass unser Begriff von Arbeit eben vielschichtige Inhalte haben kann und wir uns im deutschen Sprachraum bewusst sein müssen, dass Arbeit eben nicht gleich Arbeit ist.

Wenn aber doch die Erwerbsarbeit ein notwendiges Übel ist und Erfüllungsarbeit regelmäßig nicht oder unterproportional bezahlt, können und sollten wir etwas dagegen tun?

Als Unternehmer, Führungskraft, aber auch als Mitarbeiter hast du einen klaren Handlungsauftrag.

Für die Erwerbsarbeit schlage ich zweierlei vor. Zum einen sollten wir überall dort, wo es auch nur einigermaßen möglich ist, Erwerbsarbeit so weit wie möglich zu Erfüllungsarbeit umwandeln. Dazu können wir mindestens

  • Arbeitsinhalte weniger stark taylorisieren und dadurch umfassendere Aufgabenstellungen mit mehr Sinn erfüllen.
    Beispiel: Ein Auto bei VW am Fließband herzustellen ist offensichtlich Erwerbsarbeit. Ein Auto bei Rolls Royce oder Rimac in manueller Werkstattarbeit zu erstellen offensichtlich Erfüllungsarbeit. Zwischen diesen beiden Extrempunkten in Arbeitsgestaltung und resultierenden Produktkosten gibt es sehr viel Spielraum für mehr Erfüllungsarbeit.
  • das Niveau aus Freiheit und Verantwortung heben.
    Führungskräfte sind zu mehr Vertrauensvorschuss, wie ich es nenne Zutrauen, aufgefordert. Mitarbeiter sind gefordert jedem Zugewinn an Freiheit auch mit gestiegener Verantwortlichkeit zu begegnen. Freiheit und Verantwortung müssen sich für einen langfristig menschlich und betriebswirtschaftlich gesunden Zustand in Waage befinden. Mehr Freiheit als Verantwortung führt zu Defiziten in der Effizienz (z.B. Homeoffice, ohne zuhause tatsächlich entsprechend zu Arbeiten). Mehr Verantwortung als Freiheit führt zu Selbstausbeutung und schließlich zum Burnout, weil die betreffenden Arbeitnehmer ständig in dem Gefühl leben der Erwartung nicht zu genügen.
    Jedes neue Niveau für Freiheit und Verantwortung erfordert deshalb den ausführlichen Dialog zwischen Führungskraft und Arbeitnehmer, um beide Begriffe und die gegenseitigen Erwartungen für das betreffende Niveau neu abzustimmen, auszuhandeln, für beide zu einem gleichartigen Verständnis zu kommen.
  • mehr Teilhabe auf allen Ebenen schaffen.
    Für mich gibt es (mindestens) vier Stufen der Teilhabe: an Information, an Entscheidungen, am Erfolg und schließlich am Besitz.
    Es gilt also mehr Information frei zugänglich zu machen, damit Entscheidungen möglichst selbständig von der Person mit der größten Nähe zum Problem gefällt werden können. Die Teilhabe am Erfolg, mir schweben als Standard 25% vor, ist dann nur eine logische Antwort auf die stärkere Einbeziehung und damit breiter gestreute Verantwortung aller Beschäftigten. Die Teilhabe am Besitz hilft schließlich die alt gedachten Grenzen zwischen Arbeit und Kapital aufzulösen.

Zum anderen sind wir gehalten Erwerbsarbeit, je stupider und entwürdigender sie ist, immer stärker durch technologische Lösungen, vom Roboter bis zur KI, zu ersetzen. Auch dazu können wir mindestens

  • die Kosten für Erwerbsarbeit immer weiter erhöhen.
    Dies geht natürlich durch immer höhere Löhne. Auch erhöhte Anforderungen zu Pausenzeiten, Arbeitszeitverkürzungen, Rahmenbedingungen zu Arbeitssicherheit, betrieblicher Ausstattung etc. sind wirksame Mittel, um die Belastungen der Erwerbsarbeit einerseits zu mindern und gleichzeitig diese zunehmend unattraktiv und damit unwahrscheinlicher zu machen. Dies leistet dann der weiteren Automation Vorschub.
  • besonders gefährliche Tätigkeiten, für die Automationslösungen bereits bestehen, vollständig untersagen.
    Wo es technisch möglich ist, können wir offen darüber diskutieren ob und wie intensiv der Gesetzgeber die Ausführung bestimmter Tätigkeiten überhaupt noch für Menschen zulässt.
  • als Mitarbeiter derartige Tätigkeiten nur noch in Teilzeit oder gar nicht mehr annehmen.
    Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn in der Arbeit und einem erfüllten Leben beschäftigen immer mehr Menschen. Nur weil diese Diskussion gerade bei Soya-Chai-Latte trinkenden Hauptstädtern besonders en vogue ist, heißt dies nicht, dass es zunehmend auch weitere Teile der Gesellschaft erreicht. Eine wichtige Voraussetzung, damit dies aber für alle Teile unserer Gesellschaft denkbar wird ist allerdings der nächste Punkt.
  • ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen.
    Diese Maßnahme ist noch nicht für alle Teile unserer Gesellschaft denkbar, folglich auch noch nicht unbedingt mehrheitsfähig. Gleichwohl bin ich fest davon überzeugt, dass wir eher früher als später ohnehin dort ankommen werden. Es ist m.E. die unausweichlich nächste logische Stufe unseres Sozialstaates. Gegen Anrechnung von Steuerfreibeträgen, Kindergeld, Rente und vor allem sonstiger staatlicher Sozialleistungen wie Hartz IV und Wohngeld bis Beschaffungs- und Heizkostenzuschüsse lässt sich dies spielend finanzieren. Selbst dann, wenn wir die extremen Effekte der Kosteneinsparung durch wesentlich vereinfachte bis gänzlich abgeschaffte Verwaltungs- und Kontrollprozesse noch nicht hinzurechnen.
    Übrigens: ein bedingungsloses Grundeinkommen kannst du auch als gerechte Entschädigung für all die unentgeltlich geleistete Erfüllungsarbeit, ob zuhause oder im Ehrenamt, betrachten.
  • unser Steuersystem auf Konsum- statt Einkommensteuer umstellen.
    Wir sind längst in der Fremdversorgungswirtschaft angekommen. Dennoch halten wir unbeirrt an einem Steuersystem aus der Selbstversorgungswirtschaft fest. Unsere auf Einkommen und Arbeit basierende Steuerlogik ist nicht weiter, als die Fortsetzung des uralten Kirchenzehnts. Die Umstellung auf Konsumsteuern hätte übrigens die mancherorts diskutierte Maschinensteuer gleich automatisch im Gepäck. Diese gleichzeitige Verteuerung, weil Besteuerung, der Maschinenarbeit wird der Abschaffung der Erwerbsarbeit vermutlich entgegen, weshalb die anderen Maßnahmen umso wichtiger werden. Für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit all seinen Segnungen ist allerdings die Umstellung des Steuersystems eine wesentliche Co-Maßnahme. Ansonsten partizipierten zwar alle vom Grundeinkommen, aber für dessen Finanzierung trügen nur Menschen mit Einkommen bei. Dabei leisten dann auch noch die abhängig Beschäftigten den Löwenanteil, während sich der wohlhabendste Teil seinen Beitrag durch geschickte Steuerkonstruktionen, ich nenne es hier mal bewusst Steuerflucht, entziehen kann – und dies selbstverständlich auch tut.
    Hinzu kämen noch die Besteuerung von Vermögen und eine höhere Besteuerung von Schenkungen und Erbschaften, denn Nicht-Konsum soll ja im fiskalischen Interesse unattraktiv sein. Schließlich ist eine Finanztransaktionssteuer ein ganz wesentliches, zu ergänzendes Instrument. Bevor ich auch hierzu noch allzu weit aushole, lasse ich dich mit diesen Gedanken erstmal in Ruhe auf der Parkbank sitzen. Einziger Tipp: Lies halt mehr in diese Richtung. Es gibt phantastische Bücher dazu.

Für die Erfüllungsarbeit braucht es im Umkehrschluss nur wenig. Der wesentlichste Aspekt ist, dass wir die Erfüllungsarbeit mit noch mehr Erfüllung anreichern. Auch dazu kann wieder jede und jeder einzelne von uns einen Beitrag leisten. Schenkt denjenigen, die Erfüllungsarbeit leisten reichlich von eurer aufrichtigen Anerkennung und Wertschätzung. Jeden Tag. Wann immer ihr Erfüllungsarbeit leistet, schenkt euch diese Wertschätzung auch selbst. Wann immer andere diese leisten, zeigt dass ihr dies gesehen habt und wertschätzt. An Lob und Anerkennung gibt es übrigens kein “zu viel”, solange es ehrlich und aus vollem Herzen kommt.

Eure Demut und Dankbarkeit kann aus Erwerbsarbeit auch Erfüllungsarbeit machen.

Schenke dem Müllwerker deine Aufmerksamkeit und sieh ihn als den Menschen, der dich vom täglichen Dreck befreit. Sag DANKE.
Lächle die Supermarktkassiererin einfach mal freundlich dafür an, dass sie sich für dich beeilt hat und nimm ihren Wunsch zu “einem schönen Tag” einfach mal ernst. Wünsch du ihr auch einen schönen Tag.
Zeige dem Paketboten, wie sehr du dich über das gerade von ihm gelieferte Paket freust und wie dankbar du dafür bist, dass er diesen anstrengenden Job macht. Schenke ihm doch einfach mal eine Flasche Wasser als Anerkennung.

Diese Liste ließe sich noch unendlich fortsetzen. Und trotzdem gibt es Erwerbsarbeit aus der sich auch mit allen guten Worten keine Erfüllungsarbeit machen lässt. Hilf mit, dass wir diese abgeschafft bekommen, denn regelmäßig sind das sinnlose Jobs für sinnlose Produkte und Dienstleistungen. Nimm solche Jobs nicht an, auch wenn sie gut bezahlt sind. Natürlich ist das schwierig, aber wenn es einfach wäre, wären wir längst am Ziel.

Schreibe deine Kommentare sehr gerne unter die Posts zu diesem Blogartikel in den sozialen Medien. Eröffne so den Raum zu einer breiten Diskussion. Ich freue mich auf den Austausch mit Menschen, die das ganz anders sehen.

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