Vertraute Zeit

Vertraute Zeit

Vertraute Zeit. Die Zeit als Gradmesser für Erfolg ist uns nur allzu vertraut. In der sogenannten alten Arbeitswelt war das so herrlich einfach: Anwesenheit = Wirksamkeit = Grundlage für den Vergütungsanspruch. Wir haben ja auch bis heute so viele andere Beispiele, wo eine Menge Zeit fest mit der Unterstellung einer Gegenleistung verknüpft ist. Im Handwerk erleben wir das jeden Tag, wenn wir für unsere Kunden gegen Stundennachweis arbeiten. Es geht natürlich auch noch direkter. In nahezu allen Sportarten spielt Zeit eine zentrale Rolle. Entweder gibt diese den festen Rahmen vor, wie zum Beispiel im Handball. Oder sie ist ganz direkt die Einheit des Erfolgs, im 400m-Lauf zum Beispiel.

Vertraute Zeit! Was aber, wenn Zeit und Leistung keine feste Verbindung haben?

In Bezug auf Arbeit ist das sowieso in den seltensten Fällen so. Wenn Kunden zum Beispiel unsere Stundensätze als hoch empfinden, dann versuche ich diesen immer wieder deutlich zu machen, dass die gemessene Zeit nur ein Faktor ist. Die Arbeitsgeschwindigkeit, Arbeitsintensität ist ein weiterer und die Arbeitseffizienz ein dritter. In der Arbeitseffizienz steckt dann noch der Faktor Qualität mit drin. Es nützt ja nichts, wenn jemand schnell ist und dadurch viel schafft, aber das Ergebnis der erforderlichen Qualität nicht entspricht.

Arbeit und Zeit haben nach meiner Erfahrung keinen festen Bezug.

Ansonsten bräuchte es ja keinen Akkord- oder Stücklohn in Bereichen, wo die Arbeitsmenge einwandfrei messbar ist. Diesen Ansatz zur Messung der Arbeitsmenge finden wir vor allem in prozessual gut durchstrukturierten Arbeitsbereichen, wie in der Massenfertigung zum Beispiel. Fließbandarbeit sieht zunächst so aus, als hätte die Arbeitszeit mit der Arbeitswirkung, dem Arbeitserfolg einen direkten Zusammenhang. Dabei messen wir auch hier die Arbeitsmenge, also Stückzahlen, welche durch die Fließgeschwindigkeit des Bandes festgelegt ist, allgemeiner durch die Prozesstaktung.

Wie messe ich eine Arbeitsleistung, wenn das Arbeitsergebnis nicht in unreklamierten Mengen wie kg oder Stück messbar ist?

Da haben wir uns bislang mit der Anwesenheitszeit und Kontrolle beholfen. Der Kontrollgegenstand war dann vorwiegend, ob die Mitarbeitenden wenigstens bemüht oder angestrengt aussahen. Also waren nicht nur die Mitarbeitenden an die Anwesenheit gebunden, die Chefs ja genauso. Mein Vater hatte in seinem Büro früher ein Display. Das Display zeigte mit roten Lämpchen welche Mitarbeiter anwesend waren und welche nicht. Er vertraute in Zeit und vertraute eben nicht in seine Mitarbeitenden.

Dachte er…

Tatsächlich zeigte das Display ja lediglich an, was jemand zuletzt am Zeiterfassungsterminal gemacht hatte. Allzu oft haben beim Gehen Mitarbeiter das “Ausstempeln” vergessen, weil zum Beispiel der Abteilungsleiter direkt vom Kunden nach Hause gefahren ist. Lediglich morgens klappte das “Anstempeln” aus reiner Routine eher. Aber auch hier gab es natürlich begründete Ausnahmen, wie direkte Fahrten zur Baustelle. Alle wussten um diese Fehlerquellen. Deshalb hatte dieses “big brother”-Spielzeug gar nicht erst einen Bezug zum Vergütungsanspruch. In der Folge war dann die Motivation zu einer ordentlichen Nutzung sehr schnell gegen null gesunken und es verkam zu einer erstklassigen Beschäftigungstherapie. Durch keinerlei Bezug zum Kundennutzen war dieses Instrument aus einer internen Referenz geboren zum Scheitern verurteilt.

Diesen blinkenden Beitrag zu einem leuchtenden Betriebskindergarten habe ich gleich bei meinem Antritt von der Wand gerissen.

Mir war diese rot beleuchtete Zirkusnummer einfach zu unsinnig. Ich hatte davor schon versucht meinem Vater deutlich zu machen, dass Anwesenheit und Leistung keinen festen Bezug haben. Im Gegenteil bindet so ein Spielzeug auf beiden Seiten Ressourcen, die von echter Leistungserbringung nur abhalten. Das hatte er auch verstanden, wollte oder konnte aber nicht mehr selbst davon ablassen. Seit der Demontage gilt für alle eine Vertrauensarbeitszeit. Für die gewerblichen Mitarbeiter in Fertigung und Montage im Übrigen auch. Diese sind lediglich verpflichtet, die jeweilige Arbeitsmenge zu einem Auftrag zu erfassen. Beginn und Ende erfassen wir nicht, sondern lediglich die Menge. Leider. Denn natürlich hat die Menge ja auch in diesem Fall nichts mit der Leistung zu tun. Diese würde ich dem Kunden viel lieber direkt berechnen. Das haut aber regelmäßig nicht hin, also nutzen wir eben die Krücke mit der Zeit.

Wie aber lösen wir uns von der Anwesenheit als Faktor?

Wir brauchen Ersatz für das alt hergebrachte, untaugliche Instrument. Bevor wir das bewerkstelligen können, brauchen wir viel dringender die wirkliche Einsicht von Führungskräften, dass Anwesenheit eben nichts mit Leistung zu tun hat. Wir brauchen übrigens diese Einsicht bei den Mitarbeitenden genauso. Auch diese stecken in alten Mustern fest, weil beiden Seiten die Alternative fehlt. Mitarbeitende wollen zeigen, dass sie wirksam sind und einen Beitrag leisten. Weil aber der Fokus auf die Anwesenheit bis heute so sehr dominierend ist, glauben auch Mitarbeitende dem erwarteten Bild entsprechen zu müssen, um als wirksam wahrgenommen zu werden. Es ist eben eine vertraute Zeit.

Tatsächlich überfordern wir Führungskräfte mit dem Anspruch die Wirksamkeit aller unterstellten Mitarbeitenden beurteilen zu sollen.

Der Führungskraft gelingt es ja regelmäßig nicht einmal überhaupt nur den Anteil des einzelnen am Arbeitsergebnis aller unterstellten Mitarbeitenden trennscharf zu sehen. Das wäre vor einer Beurteilung zumindest wünschenswert. Wie wäre es denn, wenn die Mitarbeitenden im Sinne einer internen Kunde-Lieferanten-Beziehung diese Frage unter einander ausmachen? Ich möchte sogar vorschlagen diese Frage über die interne Kunde-Lieferanten-Beziehung auf alle oder zumindest einen größeren Teil der direkt umgebenden Kollegen auszudehnen.

Wie wir das konkret gelöst haben, findest du im Blogartikel “Werte führen zu Leistung”.

Und die Zeit? Diese vertraute Zeit? Sie spielt für uns tatsächlich nur gegenüber dem Kunden, gegenüber der externen Referenz eine Rolle. Unser Wertemesssystem genügt aber natürlich nicht. Die Orientierung an unseren Werten und der regelmäßigen Konfrontation des eigenen Verhaltens und des Verhaltens der Kollegen in Relation zu unseren Werten ist ein Baustein. Ein weiterer Baustein ist die Ausrichtung an der Mission, Vision des Unternehmens. Die Antwort auf die Frage “Warum gibt es uns überhaupt, welchen Beitrag leisten wir und empfinden wir diesen Beitrag als sinnvoll?”.

Ich empfehle auch weiter zu gehen und echte Teilhabe zu leben. Lies dazu gerne den Blogartikel “Teilhabe mal 4 1/2”.

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